Darsteller von Marilyn Monroe und den Blues Brothers auf dem roten Teppich

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Close up: I am Rachel

Rachel Hiew betritt die Lobby des Estrel Hotel Berlin mit wippendem Pferdeschwanz und einem breiten Lächeln. Sie lebt außerhalb Berlins und auf den Straßen ist oft Stau, erklärt sie ein wenig atemlos und mit unverkennbarem, britischem Akzent ihre kleine Verspätung. „Ich bin immer unter Zeitdruck“, lacht sie mit einem dunklen Timbre und eilt Richtung des "Stars in Concert"-Backstage-Bereichs.

Portrait Rachel Hiew

Denn heute Abend wird sie in „Thank you for the music - Die ABBA Story” auftreten, einer Liveshow mit 22 Songs der legendären schwedischen Popgruppe ABBA. Statt Parka, Pullover und Bluejeans trägt die Sängerin dann Hotpants, bauchfreies Paillettentop, Stulpen und silberne Plateaustiefel. Eineinhalb Stunden dauert es, bis aus der dunkelhaarigen Rachel die blonde Agnetha wird. Knallblauer Glitzerlidschatten und Kunstwimpern gehören zum Make-up, bevor Rachel ihre hüftlangen Haare wie ein Schneckengehäuse um den Kopf rollt – „schneckelt” – darüber eine abgeschnittene Feinstrumpfhose, gefolgt von der blonden Echthaarperücke mit 70er Jahre Föhnwelle. Alle Perückentricks hat Rachel von Dragqueens gelernt: Der bewegungssichere Halt, das Nachdunkeln der Haaransätze mit Puder für einen authentischen Look.

„Noch 30 Minuten bis zur Show”, ertönt die Stimme des Stage Managers. Rachel singt ein paar Tonleitern. Ihr Mezzo-Sopran umfasst beinahe vier Oktaven, eine Bandbreite, die es ihr ermöglicht, unterschiedliche Künstler darzustellen: In der Show „Stars in Concert” im Estrel Berlin verkörpert sie seit 1999 Cher, Jennifer Lopez und Amy Winehouse. Gerade Amy fasziniert Rachel besonders, deren Lebensangst, die sich in den Songtexten spiegelt. Es ist nicht nur das Kostüm, in das Rachel schlüpft, es ist auch die Person. Hat sie bei ihrem Talent nie von der eigenen Solokarriere geträumt? Es gab den Wunsch, als Rachel Hiew berühmt zu werden. Schon als Kind wollte Rachel, die in London als Tochter eines Hongkong-Chinesen und einer Irländerin geboren wurde, auf die Bühne. Sie absolvierte die „Arts Educational School“ mit einem Lloyd- Webber-Stipendium und erhielt 1990 den Preis als „The best allround Student” für Schauspiel, Tanz und Gesang. „Ich war damals zu unerfahren”, sagt die 46-Jährige, die deutlich jünger aussieht und dankbar ist, dass sie immer noch gefragt ist. Ihr Weg führte sie unter anderem an die English National Opera und die Royal Albert Hall, sie hatte Rollen in „Grease”, „Cabaret” und „Evita” und in der englischen Lindenstraße „Eastenders“.

Rachel Hiew als Jennifer Lopez in der Kosmetikabteilung der Galeries Lafayette

„Noch zehn Minuten”, ruft der Stage Manager. Nach all den Bühnenjahren hat Rachel immer noch Lampenfieber, was sie antreibt, denn sie möchte die Erwartung des Publikums nicht enttäuschen: „Als Doppelgänger muss ich mehr als nur Gesang anbieten, die Zuschauer achten auf jedes Detail.” Und bevor sie anfangen, Vergleiche mit den realen Stars anzustellen, muss man sie einfangen und entertainen. Nur selten passiert es, dass der Funke nicht überspringt. Zweieinhalb Stunden Bühnenshow und sechs Kostümwechsel liegen heute Abend vor ihr. Und hoffentlich ohne Malheur: Bei „Honey, Honey” verhakte sich kürzlich ihre blaue Häkelmütze mit einer Haarnadel von Gesangspartnerin Frida, so dass beide nur durch einen beherzten Handgriff voneinander loskamen.

Erst gegen Mitternacht wird Rachel wieder ins Auto steigen und nach Hause in die Berliner Peripherie fahren. Noch ein bisschen mit ihrem Mann Chris reden, einem Musiker, den sie 1994 in Berlin kennenlernte. „Das schwierigste ist, runterzukommen”, sagt Rachel. Sie isst, duscht, trinkt Tee, um einschlafen zu können, meistens nicht vor drei Uhr morgens. Tagsüber fühlt sie sich manchmal übernächtigt. Trotzdem begleitet sie ihre beiden Töchter in die Schule, geht täglich zwei Stunden mit den beiden Mischlingshunden spazieren. Ihr Fitnessprogramm für die körperlichen Anstrengungen auf der Bühne. Berlin und Brandenburg betrachtet sie längst als ihre Heimat, an der sie die Vielfältigkeit schätzt. Die Vegetarierin schwärmt von Schöneberg und dem Winterfeldmarkt mit der besten Falafel und dem Griechen „Ousia”, ihrem Lieblingsrestaurant. Rachel liebt die Berliner Szene, wo sie an spielfreien Tagen mit ihren Bands „Disco Inferno” und der Soul-Brass-Band „Power Unit” unterwegs ist. Ihre größte Sorge ist jede Form von Erkältung. Gerade weil es für die Rolle als Agnetha nur ein Double gibt – und das lebt in London. Eine Kehlkopfentzündung kommt einem Bühnen-Knockout gleich, ans Singen ist dann nicht zu denken. Da helfen nur Lakritze, inhalieren und viel Schlaf.

„Noch drei Minuten!” Schnell zieht Rachel die Lippen nach. Da ist er wieder, dieser Zeitdruck. „Gut für’s Adrenalin”, grinst Rachel und ruft ihren Kollegen „Have a good one” zu: Toi, toi, toi. Die Band spielt die ersten Takte von „Gimme Gimme Gimme”. Rachel streckt sich, atmet tief durch und läuft auf die Bühne.

Das Interview führte Birgit von Heintze, Autorin und Lifestyle-Journalistin
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