Art & Stories
Interview mit Peter Halley
Es ist früher Morgen in New York, als Künstler Peter Halley über Zoom zum Interview bittet. Der 68-jährige New Yorker zählt zu den großen international bekannten Künstlern – auch weil seine frühen Arbeiten rückwirkend fast prophetisch wirken.
Halley sah die digitale Revolution und die Veränderung unserer sozialen Räume in seiner Kunst lange voraus. Das Museum of Modern Art (MoMA), die Tate London und das Guggenheim stellen seine Arbeiten aus, die viele mit Minimalismus und Neo-Konzeptkunst in Verbindung bringen.
In der Lobby des „Estrel“-Hotels finden sich zwei besondere Werke. „Site specific“ Arbeiten, die Halley extra für die große Halle gefertigt hat, weil er seit Jahren mit den „Estrel“-Besitzern Sigrid und Ekkehard Streletzki befreundet ist. Halleys Meisterwerke fürs Hotel kann man als Hommage an die „zweigesichtige“ Skulptur des britischen Bildhauers Tony Cragg sehen, die ebenfalls in der Hotel-Lobby steht. Viele sind verwundert, dass Halley seine Arbeit über einem Monitor aufhängen ließ, dabei ist dieser Ort ideal, weil ein Monitor die Verbindung in die digitale Welt herstellt, um die es im Werk des Ausnahmekünstlers geht.
Was Peter Halley als Künstler antreibt und ausmacht, verriet er in einem ausführlichen Gespräch mit dem „Estrel“-Magazin.
Mon Muellerschoen: Lieber Peter Halley, Ihre Kunst ist sehr konzeptionell. Farben spielen eine große Rolle. Vor mehr als 20 Jahren stand ich das erste Mal vor Ihren Bildern und habe sie, ehrlich gesagt, nicht verstanden. Erst mit den digitalen Entwicklungen der vergangenen Jahre, dem Internet und den Smartphones, habe ich Ihre Kunst mehr und mehr verstanden und es erstaunt mich nachhaltig, wie visionär Sie seit den 80er Jahren arbeiten. Obwohl viele Kritiker sagen, ihre Kunst habe sich kaum geändert, finde ich, sie hat sich intensiviert auch in Sachen Farbgebung – wie der digitale Fortschritt.
PH Ja, so ist es. In den achtziger Jahren, als ich anfing, auf meine Art und Weise zu malen, sagte ich mir, dass die grundlegende Natur des Raumes in der Welt, die wir aufgebaut haben, eine Reihe von Verbindungen ist: wie Terminals, die über lineare Netzwerke mit anderen Terminals verbunden sind, ähnlich einem Auto auf einer Autobahn oder eine Telefonleitung, die ein Gespräch herstellt. Das sind die Räume, die ich in all meinen Gemälden darstelle, und das ist im Grunde auch die Art und Weise, wie wir in der digitalen Welt heute miteinander verbunden sind – über Computer und Geräte. Die Farben in meinen Gemälden sind in den 1980er Jahren meist fluoreszierend, Dayglo-Farben, diese Art von hellen, künstlichen Farben sind auch charakteristisch für die High-Tech-Welt, in der ich in den 80er Jahren lebte. Mit dem heutigen Zeitalter von Computern und iPhones, erkannte ich, dass meine Methode auch funktioniert, um die Welt der digitalen Bildschirme darzustellen – mit ihren intensiv gesättigten und hellen Farben.
MM Wie hat die Pandemie Ihre Arbeit beeinflusst? Sie haben einmal in einem Interview erwähnt, dass ein Großteil der heutigen Gesellschaft digital eingesperrt sei. In den letzten anderthalb Jahren sind viele von uns nicht nur digital, sondern auch physisch eingesperrt worden. Hat das Ihre Art zu denken, zu sehen und zu malen verändert?
PH Nicht wirklich, es hat sie eher verstärkt. Die Menschen sahen sich weniger und hatten weniger körperlichen Kontakt, und die ganze Frage, wie sich das Internet und die digitale Kommunikation während der Pandemie auf uns ausgewirkt haben, muss erst noch erforscht werden. In gewisser Weise könnte man meinen, dass das Internet für eine Pandemie geplant wurde, da es den Menschen ermöglicht hat, miteinander zu kommunizieren, ohne in physischen Kontakt miteinander zu treten.
MM Sie sprechen immer das entfremdete Leben in der Moderne an, jetzt hat die Realität Sie eingeholt.
PH Ich denke, dass dies schon lange vor der Pandemie passiert ist. Seit Jahren schauen alle auf ihre Smartphones und meine Studenten in Yale sprechen über Facetime mit ihren Partnern, die oft Hunderte von Kilometern entfernt sitzen.
MM Nicht nur die Art und Weise, wie Sie Farben verwenden, hat sich verändert, sondern auch die Zellen und Prismen, mit denen Sie arbeiten, haben begonnen, sich mehr zu bewegen – zu vibrieren und zu pulsieren. Sie verlassen jetzt förmlich ihre "Grundlinie“. Es ist wie ein Energiefeld, eher wie eine ganze Installation – als ein einzelnes Bild. Das fand ich sehr faszinierend und es scheint ein Zeichen unserer Zeit zu sein.
PH Danke, das ist ein großes Kompliment. Ich habe das Gefühl, dass meine Gemälde heute weniger durch die Schwerkraft begrenzt sind, sondern eher instabil sind und eine Art pulsierende Komposition besitzen. Das ist etwas, das ich erst in den letzten Jahren entwickelt habe.
MM Wie würden Sie Ihren Sinn für Raum definieren?
PH Der zentrale Raum in den Gemälden? In meinen Arbeiten gibt es geometrischen Figuren, diese rechteckigen Formen, die ich Prismen nenne, wenn sie ein Fenster haben, und die ich Zellen nenne, wenn sie keines besitzen. In meinen Gemälden geht es um die Wechselwirkungen zwischen diesen kodifizierten Formen und wie sie miteinander verbunden und auf der Leinwand verteilt sind. Es ist eine Art Kartierung und dabei kommen auch psychologische Themen zur Geltung.
MM Können Sie mir einen Tag in ihrem Studio beschreiben?
PH Meine Bilder beginnen immer mit einer Zeichnung oder einer Komposition. Seit Mitte der 90er Jahre zeichne ich am Computer, das hat meine Arbeit grundlegend verändert, weil ich so die Proportionen und Dimensionen leicht ändern kann. Ich kann Dinge beliebig hinzufügen und wieder entfernen. Das gab mir eine große Flexibilität bei der Komposition und beim Experimentieren. Danach nehme ich diese Umrisszeichnung und drucke sie auf ein kleineres Blatt Papier, etwa 50 Zentimeter hoch, darauf erstelle ich eine Farbstudie. Ich verbringe ein paar Tage oder Wochen damit, die Farbe des Gemäldes auszuarbeiten. Diese Zeichnung wird dann zur Vorlage für das große Gemälde, das in meinem Atelier entsteht, wo zwei Vollzeitkünstler mit mir arbeiten.
MM Sind Sie ein schneller oder langsamer Arbeiter? Wie lange brauchen Sie vom ersten Gedanken bis zum fertigen Produkt?
PH Meine Gemälde bestehen aus zwei Phasen: der Studie, die einen Tag oder mehrere Wochen dauern kann, und der Herstellung des Gemäldes, die eher handwerklicher Natur ist und physischen Zwängen unterliegt. Das dauert zwei oder drei Wochen. Die Leute sind sich im Allgemeinen nicht bewusst, wie viel handwerkliches Geschick die Gemälde erfordern. Jede Linie besteht aus mehr als fünfzig Farbschichten, und alle fünf Schichten müssen diese Linien abgeklebt und wieder aufgeklebt werden. Das ist ein sehr mühsamer Prozess.
MM Wenn ich an die Oberflächen Ihrer Bilder denke, sind sie ziemlich unterschiedlich. Manchmal wirken sie wie eine Raufasertapete oder wie ein Wandteppich.
PH Oder wie Stuck.
MM Genau. Aber ich sehe nie einen Pinselstrich oder eine persönliche Note, selbst wenn ich ganz nah herangehe. Sie wirken fast maschinell. Versuchen Sie absichtlich, diese persönliche Note zu vermeiden?
PH Ja. Meine Bilder entstehen nur mit dem Kopf und nicht mit der Hand. Die Arbeit mit der Hand erscheint mir immer sehr vergänglich. Ich mag zwar handgemalte Bilder, aber ich ziehe es vor, etwas zu machen, bei dem meine persönliche Art und Weise der Ausführung keinen Einfluss auf das Werk hat.
MM Welcher Künstler hatte einen großen Einfluss auf Ihr Werk?
PH Ich bin mit Andy Warhol aufgewachsen. Er hatte einen enormen Einfluss auf meine Kunst, und ich habe mich schon als Teenager intensiv mit seiner Arbeit beschäftigt.
MM Haben Sie Warhol persönlich getroffen?
PH Er hat mich gegen Ende seines Lebens porträtiert. Aber auch Ellsworth Kelly und eine Menge anderer, meist amerikanischer Maler, haben mich beeinflusst. Alle waren daran interessiert, die Bedeutung ihrer eigenen Handschrift in ihren Arbeiten loszuwerden. Das hat mich definitiv beeinflusst.
MM Das ist sehr interessant, denn wie Sie war auch Warhol mit seiner Arbeit ein Visionär. Sie zeigen uns in Ihrer Arbeit die gesellschaftlichen Strukturen, in denen wir leben, und ich denke, Warhol würde die Aufmerksamkeit lieben, die er durch Instagram und die sozialen Medien bekommen könnte. Man hat das Gefühl, dass Sie beide das alles schon wussten, bevor es passierte. Ihre Bilder aus den frühen Achtzigern scheinen wie geschaffen für die heutige Zeit.
PH Ich habe schon früh darauf geachtet, was um mich herum passierte. Ich habe sicherlich viel von den französischen Schriftstellern der 1970er Jahre wie Baudrillard und Foucault und Lyotard gelernt, die die Postmoderne beschrieben haben und es schien mir ziemlich klar zu sein, was vor sich ging. Aber ich war nicht der Einzige, der so dachte!
MM Was sind Ihre Pläne für die Zukunft? Was passiert im Jahr 2022?
PH Meine nächste große Ausstellung ist Anfang 2023 in Luxemburg im MUDAM. Es wird eine Retrospektive meiner frühen Gemälde aus den achtziger Jahren sein. Ich freue mich auf die Reaktionen des Publikums, vor allem die der jüngeren Leute.
MM Da wir gerade von jüngeren Menschen sprechen: Sie haben sich immer für die Lehre engagiert, sei es als Professor oder auf andere Weise. Sehen Sie sich selbst als Mentor?
PH Das liegt in der Natur meiner Persönlichkeit. Ich war von 2002 bis 2011 Leiter des Malereiprogramms am Yale Graduate Program. Die Schule hat die besten jungen Künstler angezogen, und viele von ihnen haben sich seither sehr gut entwickelt. Ich bleibe mit vielen von ihnen in Kontakt, es ist ein großer Teil meines Lebens.
MM Das ist schön. Gibt es junge deutsche oder sogar Berliner Künstler, die Sie kennen oder im Auge behalten?
PH Ich habe einen alten Freund in Berlin, dessen Arbeiten fantastisch sind. Sein Name ist Peter Klare, ein Künstler, den ich sehr respektiere und den ich vor 25 Jahren kennengelernt habe. Er hat damals an der UCLA in Los Angeles studiert.
MM Sokrates hat gesagt, dass das Geheimnis des Wandels darin besteht, seine ganze Energie nicht darauf zu verwenden, das Alte zu bekämpfen, sondern das Neue aufzubauen.
PH Ich würde sagen, das Geheimnis der Veränderung liegt darin, immer wieder dasselbe zu tun. Die Leute haben immer wieder gesagt, dass meine Bilder immer gleich sind. Ich finde das ironisch. Wenn man an Cezanne denkt, der immer wieder denselben Berg gemalt hat, war das seine Art, Bedeutung und Innovation in seinem Werk zu finden. So denke ich auch über meine Arbeit mit ihrem begrenzten Vokabular. Es ist eine Arena für Inspiration.
MM Ich werde es dabei belassen. Ich glaube aber nicht, dass es ein begrenztes Vokabular ist, es öffnet viel in mir und es ist so interessant zu sehen, wie sich Ihre Kunst entwickelt. Ich kann es kaum erwarten, Ihre nächste Ausstellung in Luxemburg live zu erleben. Herzlichen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Mon Muellerschoen,
Kunsthistorikerin und Gründerin MM-Artmanagement