Art & Stories
Interview mit Cajsa von Zeipel
Ein sonniger Tag in New York mitten im November. Der Himmel über Downtown Manhattan leuchtet kornblau, das Laub der Bäume glänzt wie Blattgold, die Fassaden der frischrenovierten Redstones kontrastieren in warmen Rot.
Ein Farbspektrum, das Künstlerin Cajsa von Zeipel inspirieren dürfte, denke ich, als ich an der Tür ihres Ateliers auf der Lower East Side klingele. Seit zehn Jahren lebt die aus Schweden stammende Bildhauerin in ihrer Wahlheimat New York, wo sie gerade erst ein neues Atelier bezogen hat. Hier, in einer großzügigen, loftartigen Fabriketage kreiert die 38-Jährige ihre überdimensionalen, farbintensiven Skulpturen, in denen sich die Künstlerin mit Themen wie femininer Provokation, sexueller Identität und Gleichstellung der Geschlechter auseinandersetzt. Längst haben ihre Werke Einzug in große Privatsammlungen wie der Rubell Foundation und ins Repertoire internationaler Museen in Stockholm, Zürich oder London genommen. Auch in der Kunstsammlung des Estrel Berlin ist Cajsa von Zeipel mit ihrer Arbeit „My Feminine Energy“ vertreten. Wir nehmen Platz auf einem schwarzen 60er Jahre Ledersofa, umgeben von deckenhohen Regalen, aus denen ein buntes Sammelsurium von Haushaltsutensilien, Stoffrollen und Spielzeugen quillt. Mein Blick fällt auf Wasserpistolen, Vibratoren und Kunsthaarperücken, die einträchtig nebeneinander liegen, bis Cajsa sie in einer neuen Skulptur verarbeitet. Das Interview kann beginnen.
Cajsa, dein Nachname klingt sehr deutsch. Haben deine Vorfahren deutsche Wurzeln?
Der Name stammt ursprünglich aus Belgien, dann kam die Familie nach Deutschland und ging anschließend nach Schweden.
Und jetzt lebst du in New York. Was brachte dich nach Amerika?
Manchmal verändert man sein Leben, weil es einen zuvor gelangweilt hat … in Stockholm sah ich keine Perspektive mehr für mich, obwohl mir die Stadt sehr gefällt. Aber was meine Kreativität betrifft, hatte ich das Gefühl, dass ich einfach mal raus musste. Ich war schon drei Jahre in der schwedischen Kunstszene unterwegs, hatte meinen Master am Royal Institute of Art in Stockholm absolviert, gefolgt von meiner ersten Ausstellung in der Galerie Andréhn-Schiptjenko. Stockholm war mir irgendwie zu eng geworden. Deshalb ging ich 2013 nach New York. Ursprünglich waren sechs Monate geplant und ein längerer Aufenthalt damit eigentlich keine Option. Aber nach vier Wochen lernte ich meine jetzige Frau Sophie kennen, als ich zur Eröffnung ihrer ersten Galerie ging. Sophie kommt auch aus Schweden, lebt aber seit 1998 hier. Sie ist durch und durch amerikanisch. Und ja, nun sind wir schon neun Jahre zusammen, was wirklich verrückt ist. (lacht)
Hast du schon als Kind davon geträumt, Künstlerin zu werden?
Ich bin in der Kunstwelt aufgewachsen, weil meine Mutter Kuratorin an der Göteborg Konsthall war. Bei uns zu Hause gingen die Künstler ein und aus, weshalb ich nie Angst vor Kunst hatte, ihr gegenüber aber immer den Respekt bewahrt habe. Man muss nicht zeichnen können, um Künstler zu sein. Also beschloss ich, eine technische Künstlerin zu werden und Gegenstände selbst anzufertigen. Mein Vater arbeitete damals für die Gemeinde, wo er für das Optimieren von Recycling und Umweltthemen zuständig war. Von ihm habe ich gelernt, eine Arbeit erst dann zu beenden, wenn man das Gefühl hat, fertig zu sein.
Wie begann deine künstlerische Laufbahn?
In Stockholm habe ich hauptsächlich mit raumfüllenden Installationen gearbeitet, wobei ich mich immer gefragt habe, wie kann ich Leute bewegen? Meine Installationen luden den Betrachter ein, umhüllten ihn. Trotzdem wollte ich, dass man sich an meine Arbeit erinnert, wobei es mir weniger wichtig war, ob man sie als gut oder schlecht in Erinnerung behielt, solange man sich an sie erinnerte. Ich wollte wahrgenommen werden.
Gab es einen bestimmten Schlüsselmoment, der dich auf die Idee brachte, Skulpturen zu kreieren?
In Stockholm war ich ein Club Kid. In dieser Szene waren die Leute um mich herum sehr auf ihr Äußeres, ihren Stil und das eigene Körperbild fixiert. Ich habe anschließend ein Jahr an der Städelschule in Frankfurt studiert. Meine Erfahrung in Deutschland war nicht die beste. Bei einem meiner Projekte ging es darum, mich selbst zu kasteien und zu hungern, nach absoluter Vollkommenheit zu streben, die bis an die Substanz geht … Das hat mich sehr fasziniert und auch belastet, aber nicht ernsthaft gefährdet. Es war in erster Linie ein Kunstprojekt, bei dem ich dokumentierte, was mit mir und meinem Verstand geschah, indem ich versuchte, nicht zu essen. Natürlich hatte das Auswirkungen auf meinen Körper. Plötzlich merkte ich, dass ich meine Knie und ihre Struktur besser sehen konnte. Man kann sagen, ich habe meinen Körper wie ein Objekt studiert. Nach acht Monaten wurde mir aber klar, dass ich da raus musste. Ich ging zurück nach Stockholm und fand mich in einem Workshop für Styropor wieder. Ich wurde süchtig danach, mit Gewohnheiten zu brechen, in denen ich bereits verhaftet war. Auf einmal wusste ich, wie ein Korpus aussieht und fing an, die Körper zu formen, die mich interessierten.
Häufig stellen deine Skulpturen extrem schlanke Körper dar und stehen damit sozusagen für äußere Perfektion. Warum wirken sie dabei so provokativ und sexualisiert?
Weil ich lesbisch bin (lacht). Die Skulpturen spiegeln vor allem meine persönliche Faszination auf den weiblichen Körper wider. Und sie sind Objekte, die Fragen aufwerfen sollen. Ich bin mit der feministischen Debatte aufgewachsen und habe mich gefragt, was macht ein gutes Mädchen aus und was ein böses Mädchen. Von Beginn an kam es mir darauf an, keine Opfer zu schaffen. Meine Figuren sind Schwestern oder Krieger. Ihre provokative Seite spiegelt ihre kraftvolle Haltung. Sie sind erfolgreich, was sich nach den immer noch vorherrschenden Standards darin ausdrückt, dass sie dünn sind. Der weibliche Aspekt hat für mich immer einen wichtigen Einfluss. Männer freuen sich vielleicht über das, was sie in meiner Kunst zu sehen glauben, aber das ist mir wirklich egal. Ich finde es eher lästig, über männliche Sichtweisen zu sprechen. Wäre es ein männlicher Künstler, der vergleichbare Skulpturen machte, würde ich die Arbeiten verachten.
Aber liegt darin nicht ein gewisser Widerspruch?
Es erfordert immer einen gewissen Respekt, und den versuche ich meinen Skulpturen zu bewahren. Auch, wenn ich mit Grenzen spiele. Was ist akzeptabel, was provokativ? Ich kreiere die Skulpturen und lasse sie danach los. Ich halte nicht länger an ihnen fest, in dem Sinne, dass ich ihre Bewegungen und Bedeutungen erkläre, sondern schicke sie hinaus in die Welt: Jetzt musst du dein Ding machen. Ich liebe die Wirkung von Kunst, die auf jeden Betrachter eine andere sein kann.
Deine Skulpturen verkörpern meistens junge Frauen …
… sie sind sogar etwas jünger als ich. Man kann aber schon sagen, dass die Skulpturen mit mir altern. Sie sind definitiv mit dem verbunden, was um mich herum passiert. In meinen letzten Arbeiten ging es deshalb viel um Frauen und Schwangerschaft … Ich bin jetzt 38 und wir denken darüber nach, ein Baby zu bekommen.
Du lebst mit einer Frau zusammen, wie wirkt sich das auf deine Kunst aus?
Meine Frau gibt mir täglich Feedback und prägt natürlich meine Arbeit. Sie ist in ihrer feministischen Sichtweise sehr geradlinig. Als ich einmal auf die Idee kam, meine Lippen aufspritzen zu lassen, sagte meine Frau, wenn du das machst, war’s das mit unserer Ehe. (lacht)
Was? Deine Lippen sehen doch perfekt aus …
Warum muss man daraus eine so große Sache machen? Ich bin immer noch ich. Ich mag diese Art von Kontrast … vielleicht ist das eine meiner Eigenschaften, die sich hier zu erkennen gibt. Außerdem liebe ich Zähne. (lacht)
Die Skulptur da drüben hatte augenscheinlich nicht so viel Glück mit ihrem Gebiss … und sie hat einen ziemlich verstörten Gesichtsausdruck. Ist das als Kontrast zu ihrem perfekten Körper gedacht?
Ich möchte keine Figuren erschaffen, die gefallen.
Immerhin trägt sie eine Tasche von Louis Vuitton. Ist das deine Art von Kritik an teuren Designerartikeln?
Natürlich ist es keine echte (lacht), aber ehrlich gesagt, die Modelabels kopieren uns Künstler so oft, das ich es schön finde, ein bisschen zurück zu klauen. (lacht)
Was hältst du denn von Kim Kardashian?
Ich bin einer der wenigen Menschen, die ihr nicht folgen (lacht), aber durch ihren Einfluss hat sie die Sicht auf kurvige Körper verändert. Sie hat es geschafft, Normen zu brechen, und das ist sehr cool. Durch sie werden Frauen ermutigt, zu ihren Hüften und Rundungen zu stehen. Danke, Kim Kardashian. Das ist wirklich anerkennenswert.
Auf deinem Instagram-Account „Futuristic Lesbians“ habe ich gesehen, dass deine Skulpturen jetzt auch sprechen …
Dialoge sind wichtig, um den Figuren einen Sidekick zu geben, auch, um sie vor ihrer Nacktheit zu schützen. Der nächste Schritt besteht darin, die Skulpturen mobil zu machen. Sie werden sich bewegen.
Warum hast du deinen Insta-Account erst vergleichsweise spät gestartet?
Vor ein paar Jahren war ich Facebook gegenüber ein bisschen müde geworden und hatte auf das alles keine Lust mehr. Ich kann zwar ziemlich geradlinig sein, Social Media hat aber auch eine andere Seite. Ich fragte mich, verpasse ich da irgendetwas? Aber dann kam die Covid-Pandemie und ich merkte, dass ich mich über Instagram mit anderen ganz gut verbinden kann.
Hat Corona deine Kunst oder Arbeitsprozesse in gewisser Weise beeinflusst?
Ja, hat es. Hauptsächlich, weil ich ein Workaholic bin und die Pandemie mir viel Zeit für meine Arbeit im Atelier eingeräumt hat. Die letzten zwei Jahre waren also sehr arbeitsintensiv. Da ich meistens auf den letzten Drücker abliefere, kam es mir ganz gut zupass, dass vieles während der Pandemie verschoben wurde. Ich hatte dadurch mehr Zeit, um an den Skulpturen zu arbeiten. Für mich eine völlig neue Erfahrung.
Erzähle mir ein bisschen vom kreativen Prozess und den Materialien, die du verwendest.
Anfangs habe ich jedes Detail einer Figur selber hergestellt. Silikon ist dafür das perfekte Material, es glänzt und ist transparent, ich verwende es sehr gerne. Irgendwann hatte ich dann aber ein bisschen die Nase voll von meiner eigenen Handschrift, ich wollte überraschender sein. Vieles fertige ich immer noch selber an, indem ich Körperteile meiner Freunde vermesse und dann gieße. Mittlerweile verwende ich meistens die Teile von Schaufensterpuppen, die ich entsprechend zurechtschneide. Dabei mixe ich weibliche und männliche Mannequins …
Männliche Schaufensterpuppen, wirklich? Aber man sieht sie nie in deinen Kunstwerken, oder?
Ich habe ein paar Mal versucht, schwule Männer in meine Arbeiten zu integrieren, aber es hat nicht so richtig geklappt. Tatsächlich sind männliche Puppen ideal, weil meine Skulpturen größer sind als echte Frauenkörper. Deshalb verarbeite ich gerne Männerfiguren, obwohl ich einige Teile aussortieren muss. (lacht)
Die Regale in deinem Atelier sehen aus wie ein Warenlager bei Woolworth. Wo findest du das ganze Zeug?
Ich liebe es, bei Target und in anderen großen Kaufhäusern zu shoppen. Als ich vor ein paar Jahren in London Soho ausgestellt habe, habe ich dort die vielen Sexshops rauf und runter durchstöbert. Seitdem verarbeite ich in meinen Arbeiten Vibratoren und anderes Sexspielzeug, gerne auch Küchenutensilien. Manchmal inspiziere ich während der Arbeit an einer Skulptur meine Regale und suche nach einem Farbthema, kombiniere eine Sonnenbrille mit einer Lampe, einem Massagegerät, einer Perücke und so weiter. Ich kaufe gerne Sportgeräte oder Zubehör für Aquarien oder für Pferde. Manchmal denke ich, oh, was haben wir denn hier, wofür ist dieses Ding? Das finde ich lustig. Ich versuche immer, im Atelier Spaß zu haben. Das war nicht immer so.
Wie meinst du das? Hattest du Stress wegen des Erfolgsdrucks?
Es war mehr meine eigene Erwartung an das, was ich glaubte, tun zu müssen. Wenn ich beispielsweise durch eine Ausstellung laufe, haben die Exponate, die mich ansprechen, nichts mit den verarbeiteten Materialien zu tun. Um arbeiten zu können, brauche ich eine vertraute Umgebung. Eigentlich habe ich eine ausgeprägte Leidenschaft für das Sammeln von Gegenständen. Ehrlich gesagt, ist das familiär bedingt (lacht). Ich erinnere mich, als meine Schwester und ich im Haus meiner Großeltern eine Art Bestandsaufnahme machten, dabei auf 25 Kerzenhalter, 39 Teppiche stießen … es war ein unglaubliches Durcheinander von Dingen aus sämtlichen Epochen. Schon als Kind fühlte ich mich am wohlsten inmitten all meiner Sachen, obwohl meine Mutter immer darauf bestand, dass ich mein Zeug aufräumte, das überall verstreut im Haus herumlag.
Und was wärst du geworden, wärest du nicht Künstlerin geworden?
Innenarchitektin oder Modedesignerin … oder Psychiaterin. Psychologie war eines meiner Lieblingsfächer in der Schule. Als Künstlerin kann ich all das kombinieren. Das ist fantastisch.
Das Interview führte Birgit von Heintze,
Autorin und Lifestyle-Journalistin